28. April 2011, Neue Zürcher Zeitung
Unerwünschte Palästina-Ausstellung
Systematische Diskreditierung durch jüdisch-deutsche Interessengruppen
Eine Wanderausstellung über Flucht und Vertreibung der Palästinenser im Jahr 1948 hat in Deutschland zu Spannungen zwischen Christen, Juden, Israeli und Palästinensern geführt. Der Disput ist in der Öffentlichkeit weitgehend verborgen geblieben.
Gerd Kolbe
Eine Welle der Empörung erfasst Deutschland, und sie wirkt inzwischen nicht mehr spontan, sondern gut organisiert. Überall, wo die Wanderausstellung «Nakba – Flucht und Vertreibung der Palästinenser 1948» gezeigt wird oder gezeigt werden soll, werden die Veranstalter und die kommunalen Behörden von jüdischen und deutsch-israelischen Organisationen unter Druck gesetzt. Ziel ist nicht etwa der Diskurs über dieses fragwürdige Kapitel der Geschichte des Staates Israel. Mit dem Argument, die Ausstellung sei einseitig und tendenziös, wird deren Verbot gefordert und bisweilen auch durchgesetzt.
Merkwürdige Interventionen
In Aachen droht jetzt sogar die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit auseinanderzufallen. Deren jüdischer Vorsitzender Nathan Warszawski griff die evangelische Kirche scharf an, weil sie es wagen will, die Palästinenser-Ausstellung im Mai in ihren Räumen zu zeigen. Er machte die Kirche nachträglich sogar für die jüngsten Hakenkreuz-Schmierereien an der Synagoge der Kaiserstadt verantwortlich. Die Kirche sei eine «Koalition des Israel-Hasses» mit der rechtsradikalen NPD und den «Freiheit-für-Palästina»-Kämpfern eingegangen, äusserte er und sorgte auf der Gegenseite für helles Entsetzen. Superintendent Hans-Peter Bruckhoff verteidigte die Ausstellung. Es müsse möglich sein zu zeigen, dass Palästinenser nicht nur Täter, sondern auch Opfer seien, ohne deswegen sogleich als Antisemit beschimpft zu werden. Denn genau darauf läuft die öffentliche Auseinandersetzung immer wieder heraus.
Es empfiehlt sich in diesen Tagen die Lektüre der Lokalseiten deutscher Regionalzeitungen. Nur dort, nicht aber in der überregionalen Presse, finden sich Hinweise auf die permanenten Versuche, der Ausstellung den Garaus zu machen. Doch das Beispiel der Stadt Düsseldorf, welche die drittgrösste jüdische Gemeinde in Deutschland beherbergt, könnte bald schon für Aufsehen sorgen. Die Deutsch-Palästinensische Gesellschaft, die dort die Nakba-Ausstellung organisierte, hat sich entschieden, für ihre Sache vor das Verwaltungsgericht zu ziehen und das Ausstellungsverbot anzufechten.
Die Antisemitismus-Keule
Merkwürdiges hatte sich nämlich zugetragen. Acht Tage bereits war die Nakba-Ausstellung in der Volkshochschule zu sehen. Doch dann kam es plötzlich zur Begehung mit einem Vertreter der jüdischen Gemeinde. Schon nach dem Anblick der 4. von 13 Plakattafeln stand dessen Urteil offensichtlich fest. Drei Stunden später waren die Plakattafeln weggeräumt, die Ausstellung wurde geschlossen. Die Deutsch-Palästinensische Gesellschaft ist überzeugt, dass die jüdische Gemeinde ihren Einfluss geltend machte. Die Stadtverwaltung hingegen beteuert, die Entscheidung, die Ausstellung zu schliessen, sei vorher schon gefallen, der Gemeindevertreter Szentei-Heise sei nur als Gutachter hinzugezogen worden.
Wie so oft hatte das Argument, die Ausstellung fördere Antisemitismus und Israelfeindlichkeit, auch die Stadtverwaltung Düsseldorfs beeindruckt. Der Entscheid war gefallen, noch bevor das Stadtparlament sich eine Meinung bilden konnte. Auch ein Protestbrief, den der Vorsitzende der «Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost», der Frankfurter Verleger Abraham Melzer, an den Oberbürgermeister Dirk Elbers richtete, änderte daran nichts mehr. Melzers Kritik, das Ausstellungsverbot schade nicht nur dem Ziel eines friedlichen Ausgleichs in Palästina, sondern auch den Interessen der Juden in Deutschland, lief ins Leere. Eine Antwort hat Melzer bis jetzt nicht bekommen.
Goliath gegen David
Deutsche Politiker orientieren sich vorzugsweise am Zentralrat der Juden in Deutschland, der mittlerweile 104 jüdische Gemeinden mit über 107 000 Mitgliedern repräsentiert. Die «Jüdische Stimme» hingegen, die der Regierung in Jerusalem kritisch gegenübersteht, zählt gerade einmal ein paar Dutzend Mitstreiter; sie ist die deutsche Sektion von «European Jews for a Just Peace» und vertritt Ideen, für die sich in Israel «Peace Now» einsetzt. Ihre Mitglieder sind Künstler, Schriftsteller und Wissenschafter.
Einer aus ihren Reihen, der frühere Vorsitzende Rolf Verleger, hielt unlängst bei der Verleihung der Otto-Hahn-Friedensmedaille 2011 der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen an den Berliner Staatsoperndirektor, Dirigenten und Pianisten Daniel Barenboim die Laudatio. Denn der prominente Musiker macht mit seinem West-Eastern Divan Orchestra aus jungen arabischen und israelischen Musikern vor, wie Versöhnung aussehen könnte. Die «Jüdische Stimme» unterstützt die Nakba-Ausstellung. Ihr Vorsitzender Melzer ist nämlich überzeugt, dass es Frieden im Nahen Osten nur geben kann, wenn sich beide Seiten aufeinander zubewegen und jede Seite die Sichtweise der anderen Seite als legitim akzeptiert.
Druck aus Israel?
Auch der Verein «Flüchtlingskinder in Libanon», dessen Vorsitzende Ingrid Rumpf die von der Stiftung Entwicklungszusammenarbeit des Landes Baden-Württemberg und dem Evangelischen Entwicklungsdienst geförderte Palästina-Ausstellung zusammenstellte, ist auf Ausgleich bedacht. Der Zusammenschluss entstand aus einem «Freundeskreis Asyl» heraus, der sich in Reutlingen und Umgebung libanesischer Bürgerkriegsflüchtlinge annahm und bei dieser Gelegenheit mit den katastrophalen Zuständen in den Flüchtlingslagern des Zedernlandes konfrontiert wurde. Wenigstens den Kindern dort wollte man Hilfe zukommen lassen, was dann auch geschah.
Die Ausstellung war der nächste Schritt. Sie schildert nicht nur das Leid der Palästinenser, sondern gerafft und verkürzt auch die Vorgeschichte des Nahostkonflikts. Neben Dokumenten und Fotos mangelt es nicht an Literaturhinweisen. Äusserungen des Staatsgründers Ben Gurion und des ehemaligen Milizenchefs und späteren Ministerpräsidenten Menachem Begin dienen als Belege dafür, dass die Vertreibung der arabischen Bevölkerung aus Palästina von langer Hand vorbereitet war. Von Massakern ist die Rede.
Vorauseilender Gehorsam
Für Israel und für viele Juden wird ein Tabuthema angesprochen. Doch statt sich der Diskussion zu stellen, Korrekturen anzubringen und Fakten ins rechte Licht zu rücken, zeigen sich viele jüdische Institutionen nur daran interessiert, zu verhindern, dass die Ausstellung gezeigt wird. Es entsteht der Eindruck, das vom israelischen Aussenminister Lieberman und dessen Partei Israel Beiteinu in der Knesset angestrebte Verbot des öffentlichen Gedenkens der Nakba solle auch in Deutschland gelten. Den jüdischen Gemeinden jedenfalls wirft Abraham Melzer vor, sich als verlängerter Arm Israels zu betätigen.
Anfangs gab es mit der Ausstellung keine Probleme. Seit 2008 waren die Plakattafeln an 64 Orten zu sehen, zweimal schon in Berlin und in München, übrigens auch in Basel und Bern. Erst vor einem Jahr war der Ton der Kritiker immer aggressiver und unnachgiebiger geworden. Zunächst riefen Vereinigungen, deren Namen bis dahin niemand kannte, zu Demonstrationen auf. Doch dann intervenierten immer häufiger Vertreter der jüdischen Gemeinden und der örtlichen Deutsch-Israelischen Gesellschaft. Osnabrück bildete im Februar die rühmliche Ausnahme. Zur Eröffnung im Erich-Maria-Remarque-Friedenszentrum war der Vorsitzende der regionalen Deutsch-Israelischen Gesellschaft erschienen; der ehemalige Präsident des Europaparlaments, der CDU-Politiker Hans-Gert Pöttering, sprach ein Grusswort.
Gisela Siebourg, die stellvertretende Vorsitzende der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft auf Bundesebene, sieht das Motiv für die verstärkten Aktivitäten jüdischer Organisationen in der wachsenden Kritik an der israelischen Politik in den Autonomiegebieten. Die deutsche Seite, meint Siebourg, sei im Übrigen zu schnell bereit nachzugeben. Ingrid Rumpf spricht sogar von dem «vorauseilenden Gehorsam», der die kommunalen Behörden zum Einlenken veranlasse, und eben nicht nur diese. Der Deutsche Gewerkschaftsbund in Frankfurt zog eine ursprüngliche Zusage zurück. Die evangelische Kirche stellte wie so oft in letzter Zeit Ersatzräume zur Verfügung. Im badischen Besigheim wird zurzeit versucht, dem Düsseldorfer Beispiel zu folgen und die laufende Nakba-Ausstellung vorzeitig schliessen zu lassen.
Ein Freiburger Richterspruch
Für die Stadt Düsseldorf übrigens hätten die Vorgänge in Freiburg lehrreich sein können. Die Stadtbibliothek dort stand plötzlich nicht mehr zu ihrem Wort. Doch die Verwaltungsrichter schrieben der Stadtverwaltung ins Stammbuch, die Ausstellung verstosse inhaltlich nicht gegen Strafgesetze und sei «von der Meinungsfreiheit getragen». Wenn die Stadt meine, Flucht und Vertreibung im Jahr 1948 seien eher einseitig dargestellt, dann hätte sie in ihren Räumen doch deutlich machen können, dass auch andere Darstellungen denkbar und möglich wären. Die Ausstellung jedenfalls durfte stattfinden.
Für George Hodali, den Vorsitzenden der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft in Düsseldorf, ist die momentane Debatte nur schwer zu ertragen. Er wisse schliesslich, worüber er rede, gibt er zu bedenken. Er ist einer von noch wenigen Zeitzeugen jener Ereignisse. Als 13-Jähriger musste er sein Heimatdorf Beit Jalla nahe Bethlehem verlassen. Jetzt hofft er auf einen Erfolg vor Gericht und die Rücknahme der Zensur, der die Nakba-Ausstellung in Düsseldorf zum Opfer fiel.
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